Dem Schweizer CEO der wichtigsten guatemaltekischen Kaffeekooperative wird in Guatemala wegen angeblicher Geldwäscherei der Prozess gemacht. Es ist ein Lehrstück über die wachsende politische Repression im Land.
Alexander Busch, Guatemala-Stadt
Wer den Schweizer Ulrich Gurtner dieser Tage in Guatemala treffen will, der sollte kein Handy mitnehmen. Der Ausweis wird gescannt, und man bekommt mit einem Stempel ein fluoreszierendes Zeichen auf den Arm gedrückt, das sich nur unter Ultraviolettlicht erkennen lässt. Wenn man die freundlichen, aber schwerbewaffneten Militärs passiert hat, geht es rund 500 Meter durch einen staubigen Wald, in dem Vögel zwitschern. Es ist die Mariscal-Zavala-Militärbasis.
Sie liegt im Nordosten der Hauptstadt. Dort ist das Gefängnis für Prominente untergebracht: Politiker, Narcogrössen, Unternehmer sitzen hier in Untersuchungshaft. Was sich schon an den vielen luxuriösen Stadtgeländewagen auf dem Parkplatz erahnen lässt. Man könne über die Haftbedingungen verhandeln, heisst es. Alles sei nur eine Frage des Preises.
Ein Gefängnis für Prominente
Tatsächlich gleicht die Anlage kaum einem Gefängnis. Dort, wo Gurtner einsitzt, erinnert sie eher an eine heruntergekommene Schrebergartenkolonie. Ein Wachmann schliesst auf. Man geht an einem Vorgarten mit Grill und Sonnenliege vorbei, und da sitzt Gurtner an einem Tisch, träufelt sich Balsamico-Essig auf seinen Salat, pikst ein Salatblatt auf und sagt: «Das kann man doch alles nicht ernst nehmen hier.»
Damit meint er nicht nur das Gefängnis und seine Anklage, vermutlich wegen Geldwäscherei. Im Prinzip meint er damit die Justiz, genauso wie das korrupte politische System – eigentlich ganz Guatemala.
Gurtner stehe vielen mächtigen Interessen im Weg, sagt ein Diplomat, der sich gut im Land auskennt, aber nicht zitiert werden möchte. Tatsächlich ist der Fall Gurtner ein Lehrstück über die wachsende politische Repression im zentralamerikanischen Land. Ein Prozess, der sich seit 2019 beschleunigt hat, bei dem Guatemalas wirtschaftliche Eliten die Demokratie des Landes abbauen. Sie wollen ihre Macht sichern.
Der 66-jährige Gurtner ist ein prominenter Unternehmer in Guatemala. Als Geschäftsführer hat der Winterthurer den kleinbäuerlichen Kaffeedachverband Fedecocagua in rund dreissig Jahren von einer kleinen Kooperative zum wichtigsten Kaffee-Exporteur des Landes mit eigener Produktion aufgebaut. Vorher hatte der Ökonom bei der UBS in der Schweiz und für den ehemaligen Winterthurer Kaffeehändler Volkart in Guatemala gearbeitet.
Mit Fedecocagua hat Gurtner eine beeindruckende Erfolgsgeschichte hingelegt in dem bergigen Land mit knapp 18 Millionen Einwohnern auf einer Fläche zweieinhalb Mal so gross wie die Schweiz: Heute verkauft die Kooperative Fair-Trade-Kaffee an Starbucks, Nespresso, Tchibo. Deutschland und die Schweiz sind die wichtigsten Absatzmärkte in Europa. Die Kooperative erzielt höhere Preise als die meisten Konkurrenten.
Alle Konten der Kooperative sind gesperrt
Der Jahresumsatz beträgt, je nach Kaffeepreis, 100 bis 120 Millionen Dollar. 10000 Kaffeepflanzer sind Mitglied in den Kooperativen. Mindestens 50000 Menschen leben von ihrer Produktion. Doch seit dem 24.März ist Schluss: An dem Tag wurde Gurtner verhaftet. Vier Haftprüfungstermine wurden angesetzt, aber immer verschoben.
Seitdem sind alle Konten des Verbandes gesperrt. Am Hauptsitz der Kooperative in Guatemala-Stadt beschwört der Exportchef Gerardo de León einen Kunden in Lausanne am Telefon. Er solle Plastiksäcke für die Kaffeelieferung kaufen, sie vom Preis abziehen – aber das Geld vorerst in der Schweiz lassen. «Wir arbeiten hier seit 41 Tagen bargeldlos», sagt León. Die Produzenten in den Kaffeeanbauregionen, die Mitarbeiter in der Zentrale, sie alle lebten vom Ersparten.
Spricht man in Guatemala jemanden auf den Fall Gurtner an, dann begegnet einem meist Schweigen. Das ist nicht ungewöhnlich in dem Land. Es gebe Angst vor Repressalien, sagt Stefan Jost von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Guatemala. Jost hat in verschiedenen Ländern Lateinamerikas gearbeitet. Aber er habe keines erlebt, in dem man so vorsichtig sein müsse wie in Guatemala. «Die öffentlichen Orte, an denen man sich frei äussern kann, nehmen ab», sagt Jost. Es seien «shrinking spaces».
Auch Elisabeth Maigler von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Guatemala beobachtet einen stetigen Abbau der Gewaltenteilung. «Vor allem die Justiz wird zunehmend der Exekutive unterstellt», sagt sie. Unter Präsident Alejandro Giammattei wurde das Verfassungsgericht durch den Kongress linienförmig besetzt, dann die Staatsanwaltschaft. Zwei Dutzend Staatsanwälte und Richter sowie mehrere Journalisten wurden ins Exil gezwungen, einige wurden verhaftet. Die Generalstaatsanwältin Consuelo Porras und der Staatsanwalt Rafael Curruchiche wurden von der Biden-Regierung als «korrupte und undemokratische Akteure» bezeichnet und mit Sanktionen belegt.
Der Staatsanwalt Curruchiche hat letztes Jahr den bekannten Journalisten José Rubén Zamora verhaften lassen wegen Verdachts auf Geldwäscherei. Curruchiche hat auch das Verfahren gegen Gurtner eröffnet.
Die Vorwürfe gegen Gurtner sind undurchsichtig
Curruchiche habe alte Vorwürfe gegen die Kooperative hervorgekramt, sagt Gurtner in seinem Schrebergartengefängnis. Er sei das gewohnt. Schon als Vertreter für die Handelsfirma Volkart wurde ihm 1986 plötzlich die Exportlizenz entzogen. Der Beamte wollte 300000 Dollar Schmiergeld. Gurtner weigerte sich und musste Guatemala dann erst einmal schnell verlassen. Er habe die Botschaft verstanden, sagt er: «Die lautete: Wenn du nicht zahlst, legen wir dich um.»
Gurtner ist braungebrannt, hellwach und motiviert. «Ich muss mich ja um das Vitamin D kümmern», so rechtfertigt er sein tägliches Sonnenbad. Er müsse gegenüber seinen Mitarbeitern, der Familie, aber auch seinen Gegnern Stärke demonstrieren. Seine Gattin Lizet Morales kommt jeden Mittag vorbei und bringt ihm das Essen.
Die neuen Vorwürfe sind undurchsichtig. Zweimal wurde der Kooperative seit 2009 Geldwäscherei und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Das alles wurde jedoch von höchster Stelle als unbegründet zurückgewiesen und nicht weiterverfolgt. Die von der Uno bestimmte Kommission gegen Straffreiheit in Guatemala (Cicig) erklärte 2010, man habe keinerlei Hinweise für die Anschuldigungen der Geldwäsche gefunden.
Die sozialdemokratische Regierung hatte 2006 die Uno um Hilfe gebeten im Kampf gegen Korruption. Einmal eingesetzt, liess die Cicig keinen Stein auf dem anderen. Über 1500 Politiker, Richter und Unternehmer landeten im Gefängnis. Unter ihnen auch drei Ex-Präsidenten. Otto Pérez Molina, Reservegeneral und Präsident von 2012 bis 2015, ist Gurtners Zellennachbar.
Als die Kommission 2019 gegen den Präsidenten Jimmy Morales wegen Geldwäscherei zu ermitteln begann, warf dieser die Kommission kurzerhand aus dem Land. «Seither verfolgen sie alle, die mit der Cicig zusammengearbeitet oder sie unterstützt haben», sagt Gurtner.
Seitdem befindet sich Guatemalas Demokratie im freien Fall. Im Land hatten erst 1996, nach einem brutalen, 36-jährigen Bürgerkrieg, die Guerilla und die Regierung ein Friedensabkommen unterzeichnet. Nun wird es zunehmend autoritär regiert. Auf dem Democracy-Index 2022 der Economist Intelligence Unit steht Guatemala inzwischen auf Rang 98 von 167 Staaten. In Lateinamerika rangiert das Land zusammen mit Bolivien knapp vor Diktaturen wie Nicaragua, Kuba oder Venezuela.
Sein Problem sei, dass er nicht seine Schnauze halten könne, sagt Gurtner, der auch im Board der privaten Entwicklungsbank Banrural sitzt. Dort hätten andere Kooperativen begonnen, mit Krediten ihre Aktienanteile bei der Bank zu erhöhen. Da dabei auch Gelder der USAID eingesetzt wurden, begann das United States Department of Homeland Security zu ermitteln. «Ich musste auf die Vorgänge hinweisen, sonst hätte ich mich mitschuldig gemacht», sagt Gurtner.
Grossunternehmer, organisiertes Verbrechen und Politiker
Um von den Vorgängen abzulenken, habe der Staatsanwalt Curruchiche die Anklage gegen ihn als Ausländer gestartet, in der Hoffnung, dass er klein beigeben werde, sagt Gurtner. In Guatemala heisst es, dass auch der Staatsanwalt persönlich finanziell von der Anklage profitiere. Doch nun habe der Fall für Aufsehen gesorgt und könne nur noch politisch gelöst werden. Das ist möglicherweise auch der Grund, warum fünf Anhörungen immer wieder verschoben wurden. Diese Woche wurde nun ein Strafverfahren gegen Gurtner eröffnet, teilte der zuständige Richter am Dienstag mit. Die Anklage hat nun zwei Monate Zeit, um die Ermittlungen abzuschliessen.
Im Hauptsitz der Kooperative zeichnet der Exportchef Léon auf einem Blatt Papier penibel die Verbindungen zwischen der Finanzaufsicht, den Kooperativen, der Entwicklungsbank Banrural sowie den amerikanischen Behörden auf. Am Ende ist es ein Organigramm voller Pfeile und Namen. Es sieht aus wie ein Spinnennetz.
«Es gibt in Guatemala ein eng geknüpftes Elite-Netzwerk», bestätigt Hugo Maul, Ökonom vom liberalen Thinktank Cien in Guatemala. Das bestehe aus Grossunternehmen, organisiertem Verbrechen und neureichen Politikern. Auch Stefan Jost von der Konrad-Adenauer-Stiftung nennt das Netzwerk als eines von «Beharrungseliten». Ihnen gehe es ganz gut, und sie wollten den Status quo irgendwie beibehalten. Gurtner sagt, die Unternehmerschaft sei der Ansicht: «Hier darf niemand reich werden – ausser uns.» Für Parvenus sei da kein Platz vorgesehen.
Beim Machtwechsel langen Regierungen noch einmal zu
Es gebe im Fall Gurtner vermutlich keine Wahrheit, sagt der Diplomat, der nicht zitiert werden will. So könnten korrupte Politiker versuchen wollen, in der Bank Gelder zu waschen und zu verstecken. Gurtner habe dabei gestört. Zudem sei seine Kooperative zu gross geworden. Das wecke Neider, gerade auch unter anderen Kooperativen. Zudem stünden Wahlen bevor. In den letzten Monaten an der Macht versuchten Regierungen in Lateinamerika traditionsgemäss noch so viel mitzunehmen und zu verstecken wie möglich. Vom Drucker bis eben zu Krediten.
Im Juni finden Präsidentschafts- und Kongresswahlen statt. Über das Präsidentenamt dürfte im August in einer Stichwahl entschieden werden. Die neue Regierung tritt erst im Januar 2024 an. Gurtner fürchtet, dass es wegen dieser langen politischen Übergangszeit keine Entscheidung in seinem Fall geben könnte. «Ich habe mich innerlich schon darauf eingestellt, dass ich noch bis zum Jahresende hier sitzen könnte.»
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